„Nachhaltigkeit“ auf der imm cologne 2020
Wo ist das echte „Sustainable Design“?
Die Auswirkungen des Klimawandels sind zunehmend auch für uns Menschen in Europa spürbar. Immer mehr Leute versuchen ernsthaft, ihr Konsumverhalten zu verändern.
Das Kaufverhalten in Bezug auf Mobilität, Ernährung aber auch Wohnen wird immer stärker unter dem Aspekt der Klimaneutralität bewertet. Die Trendwende zu einer nachhaltig agierenden Gesellschaft ist zumindest in den Köpfen vieler Menschen angekommen.
Damit wird der ökologische Gesichtspunkt auch immer mehr zu einem wirtschaftlichen Faktor für die herstellenden Unternehmen.
Mit Sustainable Design lassen sich in Zeiten von Dürren selbst in Deutschland und monatelangen Waldbränden in Australien sehr gut Kunden ködern.
Nachhaltigkeit als ästhetischer Marketing-Faktor
Das große Thema Nachhaltigkeit wurde jedoch auf der Internationalen Möbelmesse 2020 weitgehend am Material festgemacht. Nachhaltigkeit droht so zu einem rein ästhetischen Marketing-Faktor zu verkommen, der lediglich über die Materialwahl und das Design transportiert wird.
Die nachhaltige Einstellung der Konsumierenden soll sichtbar sein, indem besonders Holz, Filz und naturbelassene Stoffe verwendet werden. In Wirklichkeit handelt es sich aber häufig um Kunststofflaminate, Holzfurniere aus nicht nachhaltig bewirtschafteten Regenwäldern oder Polyesterfilze. Diese sind für den Laien ästhetisch kaum von den nachhaltigeren Alternativmaterialien zu unterscheiden.
Man sieht den „nachhaltigen“ Möbeln ohnehin nicht an, ob sie wirklich aus nachhaltiger Produktion stammen, selbst wenn z.B. Massivholz und Wollfilz Verwendung finden.
Ein großer europäischer Outdoormöbel-Hersteller z.B. wirbt auf der imm cologne 2020 sehr offensiv mit Nachhaltigkeit und verwandelt seinen Messestand kurzerhand in eine dschungelhafte Pflanzenoase, um dies für alle sichtbar zu machen.
„Grünzeug“ als beeindruckender Nachweis für „grünes“ Handeln. Dabei sind sämtliche Produkte nach Herstellerangaben aus reinem Polypropylen gefertigt. Dieses ist zwar tatsächlich zu 100 % recycelbar, aber die reale Recycelrate von PP lag 2017 weltweit bei unter 1%.
Nachhaltig ist ein Produkt noch nicht, wenn es bloß recycelbar ist, sondern erst wenn es tatsächlich recycelt wird.
Die Verantwortung für nachhaltigen Konsum liegt nicht allein bei den Konsumierenden. Vor allem wir Industrial Designer und produzierende Unternehmen haben noch viel vor uns, die Produkte wirklich nachhaltig zu machen. Sustainable Design muss viel konsequenter umgesetzt werden.
Weg vom bloßen Anstrich des Ökologischen, hin zur umfassend nachhaltigen Entwicklung und Produktion von Produkten.
Auch das große Thema Smart Home auf der imm cologne 2020 hinterlässt bei uns einige Fragezeichen. Die Organisierenden der Sonderausstellung „Let’s be smart – Smart Village“ stellen auf ihrer Internetpräsenz die Fragen:
„Braucht man das wirklich?“
„Ist es auch sicher?“
„Wer hat wirklich etwas davon?“
Richtig sicher scheint man sich auf der offiziellen Führung durch die Messestände nicht zu sein.
„Alles, was Sie hier sehen, braucht der Mensch wie eine dritte Schulter.“
Sollte „Smart“ nicht auch nachhaltig sein? Und für die breite Masse erschwinglich? Der im Smart Village gezeigte Automatisierungswahn im Wohnbereich richtet sich jedoch ganz klar an Menschen mit mittlerem bis hohem Einkommen.
„Smart Home“-Produkte kosten zur Zeit noch viel Geld und verbrauchen häufig viel Energie. Um jederzeit reagieren zu können, sind die Systeme permanent aktiv und online. Dabei liegt der Anteil nicht-erneuerbarer Energien 2017 EU-weit bei immer noch 82,5 %.
Zudem sind Smart-Home-Produkte dem hohen Druck des technischen Wandels besonders stark ausgesetzt. Die digitale Entwicklung schreitet extrem schnell voran. Und sie bietet dem produzierenden Gewerbe fortwährend die Möglichkeit, neue Produkte zu entwickeln und ihre Vorgänger möglichst bald vom Markt verschwinden zu lassen.
Der renommierte Hersteller für Funk-Lautsprecher SONOS zog im Januar 2020 aus diesem Grunde einen gewaltigen Shitstorm auf sich, als er ankündigte, ältere Produkte nicht mehr mit Updates zu versorgen und somit inkompatibel zu seinen neueren Lautsprechern zu machen.
Intelligenz mit Verfallsdatum verbraucht übermäßig Ressourcen.
Je digitaler ein Produkt, desto mehr ist seine Zukunftssicherheit durch die Einstellung von Updates und zukünftige Inkompatibilität zu neuen Softwarestandards gefährdet. In der Praxis überzeugen „smarte“ Produkte leider in der Regel nicht durch Langlebigkeit und Zuverlässigkeit.
Nicht jedes digital aufgepeppte Produkt ist auch smart. Wirklich intelligent ist ein Produkt ohnehin nur wenn es überhaupt einen realen Nutzen erfüllt. Und dies möglichst lange, zuverlässig, und so, dass die Regenerationsfähigkeit der verwendeten Ressourcen gewährleistet ist.
Wirklich smarte Produkte sind enkelgerechte Produkte.
Wir sollten dringend darüber nachdenken, wie wir unsere Produkte langfristig intelligent machen. Wir sollten wieder Produkte schaffen, die in 5, 10 und 15 Jahren immer noch funktionieren.
Ein Beitrag zu einer Lösung ist die viel umfassendere Durchsetzung von Standards. Statt dessen wird fortwährend auf proprietäre, herstellerspezifische Lösungen gesetzt, die hauptsächlich darauf ausgelegt sind, den Umsatz der Unternehmen langfristig zu sichern.
Einen tatsächlichen Mehrwert kann Künstliche Intelligenz (KI) im Bereich des altersgerechten Wohnens bieten.
„Smart“ ist die Nutzbarkeit durch ältere Menschen.
Technische Geräte können die Sicherheit erhöhen und zum Autonomie-Erhalt beitragen. Im Bad verbaute Sturz-Detektoren beispielsweise können im Falle eines Unfalls Kontakt zu Notrufzentralen herstellen.
Im Smart Village wurde ein Roboter vorgestellt, der sich an die Fersen seines Besitzers hängte, um jederzeit zur Stelle zu sein und Hilfe zu leisten. Wir hatten hierbei jedoch den Eindruck, dass es dem elektronischen Helfer mit KI an Distanzgefühl mangelte und er in der Praxis häufig im Weg stand. Anstatt zu helfen, kann das Gerät besonders für ältere Menschen zur gefährlichen Stolperfalle werden.
Jeder Smart-Home-User kennt wahrscheinlich das von ihm abverlangte „Verhinderungs-Management“, um die vermeintlich intelligente Technik davon abzuhalten, das zu tun, was einem gerade überhaupt nicht in den Kram passt. Da fragen wir uns manchmal:
Ist das wirkliche Hilfe, oder nur Beschäftigung?
Brauche ich das mit Stromversorgung und direkt dahinter liegender Kamera verbaute I-Pad in der Haustür? Oder reicht nicht einfach auch ein herkömmlicher Türspion?
Welche langfristigen Konsequenzen hat es, wenn ich gar nicht mehr einkaufen muss, da der Kühlschrank dies für mich erledigt? Wenn ich nicht mehr aufstehen muss, da der halbe Hausstand auf Sprachkommandos reagiert?
Entwickeln wir uns irgendwann zu Menschen wie aus dem Animationsfilm „WALL·E“, die nach Jahrhunderten der Automatisierung und medialer Dauerberieselung zu verfetteten, formlosen Wesen degeneriert sind?
Die top aktuellen Smart-Home-Interfaces mit unsichtbaren Bedienelementen, berührungssensitiven Oberflächen, Touchscreens und Sprachbedienung sind kaum geeignet, unerfahrene User dabei zu unterstützen, sich zurecht zu finden.
Das Design von Produkten sollte uns sagen, wofür sie da sind und wie wir sie benutzen sollen.
Was ich nicht sehe, oder zumindest nicht erkenne, kann ich auch nicht intuitiv bedienen.
Aus unserer persönlichen Erfahrung kommen 80- oder 90-Jährige kaum oder gar nicht mit modernen Nutzer-Interfaces und Sprachsteuerung zurecht. Also gerade die, die es am dringendsten bräuchten, sind am wenigsten in der Lage, davon zu profitieren.
Der ja eigentlich enorme Erfahrungsschatz älterer Menschen reicht im modernen Smart-Home häufig nicht mehr aus, sich zurecht zu finden.
Fazit
Wir sollten weg von blinder Automatisierungs- und Digitalisierungswut, hin zu einer Umgebung, die uns sagt, wie wir uns in ihr orientieren können.
Wir brauchen mehr Produkte, die uns bei einem Ausfall des Internets oder einem Update nicht hilflos uns selbst überlassen. Produkte, die wieder haltbarer sind und intelligent über Ihr Design mit uns kommunizieren. Die uns sagen, wie sie funktionieren und uns im Alltag unterstützen. Produkte die allgemeinverständlich zu bedienen sind, und nicht nur durch eine technikaffine Digital-Elite.